Schadensersatz bei Webhosting-Ausfall (am Beispiel all-inkl.com)?
1. Die aktuellen Ereignisse:
Der aktuelle Webhosting-Ausfall bei all-inkl.com hat bei vielen betroffenen Webmastern wieder einmal die Frage aufgeworfen, ob und in welchem Umfang Schadensersatz beim Ausfall der ISP-Leistungen verlangt werden kann.
Dabei zeigt das aktuelle Beispiel zweierlei: Zum einen muss der Fehler nicht im Hause des ISP liegen, damit ein Leistungsausfall eintritt. Nach den bisherigen Meldungen scheint der Ausfall im Falle all-inkl.com auf einen beschädigten Switch bei Lambdanet zurückzugehen. Zum anderen, dass es jeden Hoster, auch die sehr guten, betreffen kann. So wird z.B. all-inkl.com schon seit längerem regelmäßig zu den besten Providern gewählt.
Schon vorab sei angemerkt, dass die Urteile zum Schadensersatz beim Ausfall des Webhostings in Deutschland rar sind.
2. Schadensersatzanspruch (dem Grunde nach):
Unzweifelhaft kann ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach bestehen, wenn die Leistungen des ISP über einen längeren Zeitraum nicht erbracht wurden. Entscheidende Frage ist somit, was genau vertraglich vereinbart wurde.
a) Vertragliche Einschränkung: Einschränkung der Erreichbarkeit
In den meisten ISP-AGB finden sich bestimmte Regelungen zur Erreichbarkeit der Leistungen.
1&1 Internet AG schreibt z.B.:
"1&1 gewährleistet eine Erreichbarkeit seiner Server von 99% im Jahresmittel."
Ebenso Strato:
"Die Verfügbarkeit der STRATO Server und der Datenwege bis zum Übergabepunkt in das Internet (Backbone) beträgt mindestens 99 % im Jahresmittel."
Bei all-inkl.com:
"Neue Medien Münnich gewährleistet eine Erreichbarkeit seiner Internet-Webserver von 99% im Jahresmittel."
Es handelt sich dabei um vollkommen branchen-übliche Einschränkungen, die fast jeder ISP so oder in zumindest ähnlicher Weise vornimmt.
Was bedeutet dies nun faktisch?
Bei einem Kalenderjahr von 365 Tagen muss der Dienst also an 361,35 Tagen (= 99% von 365 Tagen) im Jahresmittel erreichbar sein. Oder besser: Der Dienst darf nicht mehr als 87,6 Stunden Ausfallzeit haben. D.h. der Dienst kann an 87,6 Stunden im Jahr nicht funktionieren, ohne dass ein Fehler vorliegt und somit ein Schadensersatzanspruch gegeben ist.
Wichtig dabei zu berücksichtigen ist, dass es sich bei den 87,6 Stunden um einen Jahresmittel-Wert handelt.
b) Weitere vertragliche Einschränkung: Handlungen durch Dritte
Häufig schränken die ISP zudem auch räumlich-sachlich die Haftung ein.
So findet sich bei 1&1 Internet AG die Regelung:
"Hiervon ausgenommen sind Zeiten, in denen der Server aufgrund von technischen oder sonstigen Problemen, die nicht im Einflussbereich von 1&1 liegen (höhere Gewalt, Verschulden Dritter etc.) nicht zu erreichen ist."
Bei Strato:
"STRATO weist den Kunden darauf hin, dass Einschränkungen oder Beeinträchtigungen der von ihr erbrachten Dienste entstehen können, die außerhalb des Einflussbereiches von STRATO liegen. Hierunter fallen insbesondere Handlungen Dritter, die nicht im Auftrag von STRATO handeln, von STRATO nicht beeinflussbare technische Bedingungen des Internet sowie höhere Gewalt. Gleichermaßen kann auch die vom Kunden genutzte Hard- und Software oder technische Infrastruktur (z.B. DSL-Anschluss eines anderen Anbieters) Einfluss auf die Leistungen von STRATO haben. Soweit derartige Umstände Einfluss auf die Verfügbarkeit oder Funktionalität der von STRATO erbrachten Leistung haben, hat dies keine Auswirkung auf die Vertragsgemäßheit der von STRATO erbrachten Leistung."
Bei all-inkl.com:
"Hiervon ausgenommen sind Zeiten, in denen der Webserver aufgrund von technischen oder sonstigen Problemen, die nicht im Einflussbereich von Neue Medien Münnich liegen (höhere Gewalt, Verschulden Dritter etc.) über das Internet nicht zu erreichen ist."
Solche Regelungen sind rechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden, da sie lediglich den Wortlaut des Gesetzes - hier: § 280 BGB, wonach der Schuldner nur dann haftet, wenn ihn ein Verschulden trifft - wiedergegeben. Problematisch wird es aber dort, wo das Gesetz eine verschuldenslose Haftung vorsieht oder der ISP eine Nicht-Haftung auch für die Fälle festlegt, die unzweifelhaft in seinem Wirkungs- und Risikobereich liegen.
Vor allem ISP, die aus dem anglo-amerikanischen Bereich stammen, haben häufig eine Klausel, dass sie für höhere Gewalt, idR. "act of God" oder "forcemajeure" genannt, nicht haften. Dabei wird dann in ellenlangen, verschachtelten Sätzen ausführlich definiert, was als "höhere Gewalt" anzusehen ist und alles hineingepackt, was nicht niet- und nagelfest ist. Mögen diese Klauseln nach amerikanischem Recht auch nicht zu beanstanden sein, dürften sie mit deutschem AGB-Recht kaum vereinbar sein.
Es lässt sich somit feststellen, dass für nur sehr kurzfristige Unterbrechungen ISP aufgrund ihrer AGB grundsätzlich nicht haften. Etwas anderes gilt nur dort, wo der ISP keine Einschränkung seiner Erreichbarkeit in den AGB festgeschrieben hat. Dann liegt ein Fehler - jedenfalls theoretisch - schon ab der 1. Sekunde Ausfall vor. In der Praxis wird man bei der Bestimmung des Zeitraumes auf die Art und den Umfang der Störung abzustellen haben. In einem der ganz wenigen Urteile zu dieser Problematik geht das AG Charlottenburg (Urt. v. 11.01.2002 - Az.: 208 C 192/01) z.B. von einer Frist von 1,5-Tagen zur Störungsbeseitigung aus.
3. Schadensersatzanspruch (der Höhe nach):
Auch wenn ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach vorliegt, heißt dies noch lange nicht, dass der betroffene Webmaster in der Praxis auch tatsächlich einen Schadensersatz erhält.
Denn eine weitere juristische Klippe, die genommen werden muss, ist der Umstand, dass der Geschädigte den Anspruch der Höhe nach beweisen muss. Dies gilt insbesondere für den entgangenen Gewinn (§ 252 BGB).
Nicht ausreichend dafür ist, wenn der Webmaster lediglich darlegt, dass er üblicherweise 5.000 Besucher am Tag hat und durch den Ausfall nun keine Besucher mehr kommen. Vielmehr muss er auch beweisen, dass diese 5.000 Besucher ihm Einnahmen gebracht hätten.
Das ist aber häufig nur sehr schwer möglich, da es keine 100% verlässlichen Zahlen gibt, sondern die Werte recht großen Schwankungen unterworfen sind. So sind z.B. die Umsätze bei kleineren und mittleren Online-Shop am Wochenfang u.U. gänzlich andere als am Wochenende.
Um all dies zu vermeiden, erkennt die Rechtsprechung - z.B. AG Charlottenburg (Urt. v. 11.01.2002 - Az.: 208 C 192/01) - gewisse Beweiserleichterungen nach § 287 Abs.1 ZPO an. Erforderlich hierfür ist, dass anhand von Fakten eine Wahrscheinlichkeitsprognose möglich ist. Danach kann das Gericht "unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung" die Höhe des Schadensersatzes festlegen.
In der schon erwähnten Entscheidung des AG Charlottenburg (Urt. v. 11.01.2002 - Az.: 208 C 192/01) hatte der Geschädigte die Umsätze der vorherigen Monate umfassend dargelegt. Auf der Basis dieser Zahlen errechnete das Gericht dann den Schadensersatz.
Wichtig festzuhalten ist dabei, dass es sich bei § 287 ZPO um eine "Kann"-Vorschrift handelt. Das Gericht hat hier ein sehr weites Ermessen, ob und wie es die Norm anwendet. Insofern ist keineswegs klar, dass andere Gerichte ebenfalls den identischen Weg wie das AG Charlottenburg gehen.
4. Ergebnis:
Berechtigte Schadensersatz-Ansprüche bei Webhosting-Ausfällen sind aufgrund der oben erläuterten vertraglichen Einschränkungen in der Praxis die absolute Ausnahme. Dies betrifft auch den aktuellen Fall von all-inkl.com.
Eine solche Interessens-Verteilung ist letzten Endes auch angemessen, da für den ISP aufgrund der eingesetzten Technik immer ein nicht kalkulierbares Restrisiko bleibt. Bei den üblichen Massengeschäften im Webhosting-Bereich würde es den ISP finanziell ruinieren, wenn er für eine 100% Erreichbarkeit einstehen müsste.
Ist einem Webmaster ein Projekt oder eine Domain derartig wichtig, dass für ihn selbst der kleinste Ausfall nicht hinnehmbar ist, so sollte er mit dem ISP - wenn möglich - eine individuelle Vereinbarung schließen, wonach eine höhere Mindest-Erreichbarkeit vereinbart wird. Der ISP wird sich freilich eine solchen Deal gesondert vergüten lassen, da es für ihn wesentlich mehr Aufwand erfordert.